Von Claudia Ostrop
Wir alle kennen das. Man verliebt sich in ein Strickdesign, verbringt erst Ewigkeiten damit, das perfekte Garn auszuwählen und dann Wochen, um es zu stricken. Um am Ende festzustellen: Das sitzt ja gar nicht.
Vermutlich bist du größer, kleiner, kurviger oder zierlicher als es die Standardmaße, für die die Anleitung geschrieben wurde, vorgeben. Aber weißt du was? Das ist völlig in Ordnung! Denn das Schöne am Stricken ist, dass man die Anleitungen für sich „funktionieren lassen“ kann. Mit wenigen, richtigen Anpassungen kannst du eine Anleitung (fast immer) perfekt auf deine individuellen Maße ausrichten!
Nachdem wir in unserem Blogbeitrag „Maßarbeit – wie vermesse ich meinen Körper?“ neulich schon erklärt haben, wie und wo genau man das Maßband anlegen muss, um die korrekten Maße zu erhalten, erklären wir heute, wie man mit diesen Maßen eine Anleitung für sich „umbauen“ kann.
Warum sollte man eine Anleitung abändern müssen?
Strick- und Häkelanleitungen werden ebenso wie Schnittmuster auf der Grundlage von Standard-Maßen berechnet, aber nur sehr wenige Menschen passen perfekt in das jeweilige Größenschema. Muss man sich also damit zufriedengeben, dass ein Pullover oder eine Strickjacke „irgendwie“ passt?
Wahrscheinlich strickst du, weil es dir Spaß macht, oder weil es dich entspannt. Muss man also die Dinge extra komplizieren? Muss man eine Anleitung abändern oder gar umrechnen? Schon richtig, Stricken soll definitiv eine entspannende und angenehme Tätigkeit sein – aber wie frustrierend ist es, wenn man stundenlang (oder eher: wochenlang!) an etwas gestrickt hat, nur um am Ende ein Kleidungsstück zu haben, das nicht richtig passt und in irgendeiner Ecke landet.
Das Schöne am Handarbeiten ist doch die individuelle Gestaltbarkeit. Wenn du eine Anleitung an deine Maße anpasst, passt das Endergebnis. Und wenn man erstmal weiß, wo man auf- und wie man anpassen kann, ist das Ganze wirklich keine Raketenwissenschaft!
Typische Punkte, warum Anleitungsmaße nicht perfekt passen
In praktisch allen Strickanleitungen für Oberteile wird die Oberweite als „das“ Hauptmaß angegeben. Das ist grundsätzlich auch ok, nämlich wenn man „gleichmäßig“ gebaut ist.
Schwierig wird es, wenn du z.B. viel Oberweite hast, aber schmale Schultern. Oder du hast kaum Oberweite, aber ziemlich breite Hüften. Du hast einen gleichmäßig schlank gebauten Oberkörper, aber sehr muskulöse Oberarme. Richtest du dich bei der Wahl der zu strickenden Größe einfach nach der Oberweite, könnte ein Pullover z.B. übermäßig an den Schultern schlabbern oder an der Hüfte oder den Oberarmen spannen.
Vom Maßband auf die Nadel
In unserem Blog-Post „Maßarbeit – wie vermesse ich meinen Körper?“ haben wir vor kurzem beschrieben, wie du die Maße nimmst, mit deren Hilfe dem perfekten Oberteil möglichst nah kommst. Neben der Oberweite benötigst du deine Schulterbreite, die Länge des Rückens, den Umfang von Taille, Hüfte und (Ober-)Armen. Auch der Halsumfang schadet nicht, und natürlich sind auch die Länge von Oberkörper und Armen von Bedeutung.
Wenn man sich einmal die Arbeit macht, alle Maße korrekt herauszufinden, dann man es Sinn, die auch zu notieren. Am besten irgendwo, wo man sie schnell zur Hand hat. Hast du ein Stricknotizbuch? Wenn du auf Ravelry unterwegs bist, kannst du sie auch dort in einem Projekt notieren. Und das gilt natürlich auch, falls du eine Strick-App verwendest.
Von der Theorie in die Praxis
Also, du weißt deine Maße und hast eine Anleitung zur Hand. Jede ordentlich Strickanleitung sollte zu Beginn oder am Ende eine Maßzeichnung haben, in der entscheidende Maße vermerkt sind.
Achtung: Wir gehen davon aus, dass deine Anleitung mehrere Größen umfasst. Zwar gibt es auch Anleitungen, die für nur eine Größe aufgeschrieben sind, aber wie auch die Pascuali-Anleitungen ist das Gros der Designs heute für ein weites Spektrum von klein bis groß gradiert.
Die Angaben der jeweiligen Größe beziehen sich häufig auf einen bestimmten Brustumfang.
Da heißt es z.B. „Größe S, M, L, … passt zu einem Brustumfang von 92, 90, 98, … cm“
Mitunter werden aber auch nur die Maße des fertigen Oberteils angegeben und ein Hinweis, mit wieviel Mehrweite zum körpereigenen Brustumfang (das ist die „positive ease“) es am besten getragen werden sollte. Dann nimmst du deine Oberweite, addierst die gewünschte Mehrweite hinzu und suchst dir anhand des Brustumfangs des fertigen Stücks deine Größe aus.
Gleiche nun deine Maße mit denen der Anleitung ab.
Der Brustumfang ist der Ausgangspunkt. Sagen wir, du müsstest demnach Größe M stricken.
Jetzt nimmst du alle Maße, die (meist in einer Schemazeichnung) für das Design angegeben sind und vergleichst sie mit deinen Körpermaßen. Du kannst auch ein vergleichbares, gut sitzendes Oberteil aus deinem Kleiderschrank nehmen und zum Vergleich mit heranziehen: Das kann hilfreich sein, weil die Maße, die die Anleitung angibt, sich auf das fertig gestrickte Stück beziehen.
Notiere dir, wo Abweichungen sind. Manches kannst du dir ja vielleicht auch so denken, z.B. die Oberweite, die „zu groß“ für die schmalen Schultern ist, oder du weißt einfach, dass du sehr kräftige Oberarme hast.
Meine Maße stimmen nicht mit der Standardgröße überein. Was nun?
Du kommst vermutlich zum Schluss, dass du an einer Stelle des Körpers eine perfekte M bist, an der anderen eine Größe S oder vielleicht auch irgendwo mehr L als M bist.
Und hier beginnt nun die individuelle Anpassung.
Anleitungen mit mehreren Größen kannst du fast wie einen Baukasten verwenden. Natürlich nur fast, weil du ja Übergänge schaffen musst von der einen zu nächsten Größe.
Anhand von Beispielen möchten wir nun erläutern, wie man ganz ohne viel Rechnerei eine Anleitung für sich umbauen kann. Wir beschreiben die Änderungen anhand eines nahtlos von oben nach unten gestrickten Pullovers, der entweder als Rundpasse oder mit Raglan-Nähten angelegt ist.
Schmale Schultern, etwas mehr Oberweite
Anhand deines Brustumfangs bist du zu dem Ergebnis gekommen, dass du den Pullover in Größe M stricken solltest. Weil deine Schultern aber eher schmal sind, wäre eine Nummer kleiner im Hals-/Schulterbereich eigentlich schöner für dich – kein Problem!
Du schlägst die Maschenzahl für Größe S an und beginnst, der Anleitung für S zu folgen. Markiere dir am besten gleich, wie viele Maschen Größe M an dem Punkt haben soll, wenn es ans Abteilen der Ärmel geht. Diese Maschenzahl benötigst du nämlich, damit die Oberweite genug Platz findet.
Zusätzliche Zunahmen in der Passe
Es müssen in die Passe zusätzliche Zunahmen (zu denen, die für Größe S beschrieben sind) eingebaut werden:
Bei einer Rundpasse kannst du die fehlenden Maschen entweder in einer zusätzlichen Runde hinzufügen oder in die letzte Zunahmerunde die fehlenden Maschen mit einfügen. Egal, ob du eine Extra-Zunahmerunde strickst oder die zusätzlichen Maschen in die letzte der vorgegeben Maschen mit einbaust: Achte bitte darauf, dass sie gleichmäßig auf die Runde verteilt sind.
Bei einer Raglan-Konstruktion funktioniert die Sache ähnlich. Die für Größe M zusätzlich benötigten Maschen werden als zusätzliche Raglan-Zunahmen eingefügt. Vermutlich wird Größe S nach ein paar weniger Runden beim Abteilen der Ärmel angelangt sein, als Größe M: so hast du Platz für Extra-Raglan-Zunahmen, um auf die benötigte Maschenzahl zu kommen.
Mitunter werden die Raglan-Zunahmen auch nicht in jeder zweiten Runde, sondern mit mehr Abstand gestrickt: Eine gute Möglichkeit, um zwischendurch noch eine Zunahmerunde „hinzuzumogeln“.
Wichtig ist auch hier, dass du die fehlenden Maschen nicht auf einmal in einem Schwung hinzufügst, sondern gleichmäßig verteilst.
Mehr Maschen unter den Armen anschlagen
Eine weitere Möglichkeit, zu etwas mehr Weite zu kommen, ist die, beim Abteilen der Ärmel zusätzliche Maschen in der Achsel anzuschlagen. Das sollten aber nicht zu viele sein, weil du sonst schnell eine Wulst unter dem Arm hast.
Wenn du mehr Maschen für den Körper, aber nicht für die Ärmel haben möchtest, kannst du (wenige!) Ärmelmaschen „klauen“ und beim Abteilen zu Vorder- und Rückenteil hinzufügen. Wenn du dann zusätzliche Maschen unter dem Arm neu anschlägst, fallen diese für die Ärmel nicht so stark ins Gewicht.
Kräftige Oberweite bei schmalen Hüften
Du hast eine kräftige Oberweite, aber schmale Hüften? Damit ein Pullover unten nicht zu schlabberig ist, kannst du ein wenig gegensteuern.
Abnahmen zur Hüfte hin
Setze dir dafür Maschenmarkierer direkt auf den Seitenlinien. Vor und nach einem Seitenmarkierer kannst du dann auf jeder Seite mit je zwei Maschen abnehmen (so wie z.B. bei den Ärmelabnahmen). Wenn du mit diesen Abnahmen beginnst, wenn du am Busen vorbei bist, kannst du ca. alle 10 cm abnehmen, ca. 2 bis 3 Mal.
Mehr Platz für den Busen durch verkürzte Reihen
Wenn du für den Busen etwas mehr Platz haben möchtest – oder wenn durch deine Oberweite Pullover am vorderen unteren Bündchen gern „hochstehen“, dann sind verkürzte Reihen eine gute Lösung:
Der Pullover bekommt dadurch im Bereich des Busens ein paar zusätzliche Reihen. Du beginnst wenige Zentimeter unterhalb der Achsel damit, mit verkürzten Reihen hin und her zu stricken. Wir können hier leider kein schnelles Rezept anbieten, weil die Zahlen sehr auf Maschenprobe und Cup-Größe ankommen. Wir möchten diese Abwandlungsmöglichkeit dennoch trotzdem erwähnt haben.
Obenrum schmal, dafür breitere Hüften
Falls deine Hüften im Vergleich zum Oberkörper eher breit gebaut sind, möchtest du die dafür benötigte Weite nicht unbedingt schon im Schulter- und Brustbereich haben. In dem Fall kannst du Maschen zunehmen, um eine leichte A-Linie des Pullovers zu erzeugen. Beginne damit ungefähr auf Taillenhöhe. Wie bei den oben beschriebenen Abnahmen, nur andersrum.
Kräftige Oberarme
Möglicherweise kommst du z.B. gut mit Größe M klar, nur an den Armen sitzen Oberteile immer etwas knapp? Bei einem Pullover, der mit geraden (senkrechten) Armlöchern gestrickt wird, ist das kein Problem – man strickt einfach so lange hin und her, bis das Armloch die gewünschte Tiefe hat. Etwas schwieriger ist das bei nahtlosen Rundpassen- und Raglan-Konstruktionen.
Zusätzliche Ärmelweite bei Raglan-Zunahmen
Bei Raglan-Zunahmen werden in der Regel weniger oft Maschen für die Ärmel zugenommen als für Vorder- und Rückenteil. Das kann man sich zum Vorteil machen und in Zunahme-Runden, in denen eigentlich nur der Körper dran wäre, auch für die Ärmel zunehmen. Oder aber man strickt einige zusätzliche Runden vor der Ärmelabteilung und arbeitet hier noch Zunahmen für die Ärmelmaschen ein.
Ebenfalls ist es möglich, mehr Maschen unter den Achseln anzuschlagen – damit der Körper aber nicht an Weite gewinnt, müssen diese Extra-Maschen unter den Armen wieder abgenommen werden.
Zusätzliche Ärmelweite bei Rundpassen-Konstruktionen
Bei Rundpassen werden die Maschen gleichmäßig über alle Runden zugenommen. Was später die Ärmel werden, bestimmt allein die Zahl der stillzulegenden Maschen. Das kann man sich zu Nutze machen. Man kann einige (wenige) Maschen mehr für die Ärmel stilllegen. Damit dem Vorder- und Rückenteil diese Maschen nicht fehlen, schlägt man sie zusätzlich zu den in der Anleitung vorgegebenen Maschen in der Achsel neu an. Achtung: auch aus den neu angeschlagenen Maschen werden später Ärmelmaschen, also nicht zu üppig umverteilen und neu anschlagen!
Da du nun mehr Ärmelmaschen hast, als für deine Größe angegeben, solltest du dich für die späteren Abnahmen an den Ärmel an der nächsthöheren Größe orientieren.
Körper- und Ärmellänge anpassen
Eigentlich ist dies recht logisch, es soll dennoch erwähnt werden: Für mehr oder weniger Länge an Körper und/oder Ärmeln strickt man einfach mehr oder weniger Runden, bevor man sich an den Abschluss macht. Um die passende Länge zu finden, probiert man den Pullover einfach zwischendurch an.
Falls der Körper nicht gerade herunter gestrickt wird, sondern z.B. tailliert ist, muss man natürlich gucken, ob das Ganze dann optisch noch stimmig ist oder ein etwaiges „Shaping“ vorher mitberücksichtigt werden muss.
Wenn Ärmel nur moderat verlängert oder gekürzt werden sollen, hört man einfach zeitiger auf oder strickt ein bisschen länger. Wenn aus einem Dreiviertel-Ärmel indes aber ein langer werden soll oder umgekehrt, muss man beachten, ob die Abnahmen nach wie vor gleichmäßig auf die Ärmellänge verteilt sind. Gegebenenfalls muss man die Abstände zwischen den Abnahmen etwas strecken oder verkürzen.
Ein paar abschließende Tipps
Es ist wirklich hilfreich, den Pullover (bzw. jedes nahtlos von oben nach unten zu strickende Stück) zwischendurch anzuprobieren. Egal, ob man stur nach Anleitung strickt oder ob man gerade ein Änderung vorgenommen hat.
Wenn es nicht gut sitzt, lieber früh ein kleines Stück zurückribbeln als am Ende enttäuscht zu sein!
Ein Strickmuster an deinen Körper anzupassen, ist keine Raketenwissenschaft, erfordert aber etwas Übung und Geduld. Dein erster Versuch wird wahrscheinlich nicht gleich perfekt sein, aber mit jedem Projekt wirst du routinierter darin werden, die Anpassungen vorzunehmen, die zu deinem Körper passen.
Wichtig ist, die eigenen Maße zu kennen und sich darüber im klaren zu sein, wie man gebaut ist. Viele Stricker:innen neigen tatsächlich dazu, zu groß zu stricken.
In diesem Zusammenhang ist es auch dringend mal wieder Zeit, die wunderbare Maschenprobe anzusprechen. Die geschickteste Anpassung und das schönste Design nützen nämlich rein gar nichts, wenn man nicht in der Maschenprobe strickt, auf der die Anleitung basiert!
Deshalb wieder einmal der Rat: Nimm dir Zeit, eine ordentliche Maschenprobe zu stricken, zu waschen, zu trocknen. Natürlich ist es verlockend, sofort mit dem Stricken einer tollen neuen Anleitung zu beginnen. Doch Ehrenwort: Die Zeit, die für die Maschenprobe draufgeht, ist ein Witz im Vergleich zur verschenkten Zeit, weil ein Oberteil allein deshalb nicht sitzt, weil es „aus Versehen“ zu groß oder zu klein geworden ist!
Viel Spaß beim Stricken!