Nomad Stitches – ein Interview mit der Häkel-Designerin Sandra Gutierrez

Nomad Stitches – ein Interview mit der Häkel-Designerin Sandra Gutierrez

Das Häkeln hat zwar noch immer ein verstaubtes Image, doch es bietet weitaus mehr Möglichkeiten als nur Topflappen, wie die bunten „Granny Squares“ und die beliebten Amigurumis zeigen. Sandra Gutierrez, die unter dem Label „Nomad Stitches“ moderne Häkelanleitungen anbietet, ist eine Vorreiterin in diesem Bereich und reist mit ihrer Familie im Wohnmobil durch Europa und Großbritannien.

Maßarbeit – wie vermesse ich meinen Körper? Du liest Nomad Stitches – ein Interview mit der Häkel-Designerin Sandra Gutierrez 9 Minuten

Von Claudia Ostrop

Während das Stricken schon seit mehreren Jahren das verstaubte „Oma-Image“ los ist und gerade richtig in ist, haftet dem Häkeln immer noch ein etwas verstaubtes Bild an. Dabei kann man mit der Häkelnadel weitaus mehr zaubern, als nur Topflappen. Vielleicht erinnert ihr euch an die bunten „Granny Squares“, die vor ein paar Jahren (wieder) auftauchten. Und natürlich hat jede(r) schonmal die bunten, kleinen Häkeltierchen gesehen, die Amigurumis. Viel Gehäkeltes findet sich in der Ecke für Accessoires. Immer häufiger aber tauchen gehäkelte Kleidungsstücke auf Ravelry und anderswo auf, die erstaunlich gut aussehen.

Eine echte Vorreiterin auf dem Gebiet der „modernen“ Häkelei ist mit Sicherheit Sandra Gutierrez, die unter dem Label Nomad Stitches die Anleitungen für ihre Designs anbietet. Wir hatten das Glück, Sandra zu einem virtuellen Gespräch zu treffen – sie ist nämlich mit Mann und Kindern schon das ganze Jahr in einem Wohnmobil unterwegs und bereist Europa und Großbritannien.

Hallo Sandra, wie schön, dass du dir Zeit für uns genommen hast! Wo treffen wir dich gerade an?

Hallo, ich freue mich! Ja, wir sind gerade in Norwegen. Wir machen allerdings nicht seit Januar ausschließlich Urlaub – mein Mann und ich arbeiten viel, die Mädchen lernen zwischendurch. Das geht auch im Wohnmobil. Wir sind ein wenig wie Nomaden unterwegs.

Erzähl mir doch ein bisschen von dir – wer bist Du?

Mein Name ist Sandra, ich bin verheiratet, habe zwei Töchter und bin Designerin. Ich bin in Mexiko aufgewachsen, bin dann aber zum Studieren in die USA gegangen und seitdem wohne ich mal hier, mal da – und im Moment ist das Wohnmobil unser Zuhause.
Mich hat der Reise-Virus erwischt, als ich ein Teenager war. Der geht nicht mehr weg! Ich habe in zehn oder elf verschiedenen Ländern gelebt, und außer früher in Mexiko nirgendwo länger als 3 Jahre. Wir wollen aber versuchen, uns in Spanien niederzulassen.

Du machst tolle Strick- und Häkelanleitungen. Von wem hast du Stricken und Häkeln gelernt?

Meine Mutter hat mir Stricken und Häkeln beigebracht, als ich an der Uni war. Beides gleichzeitig, deshalb gibt es da für mich auch gar nicht so einen großen Unterschied. Anfangs habe ich mehr gestrickt, und dann in Phasen mal mehr das eine, mal mehr das andere.

Ja, die Nadeln sind anders und die Technik, aber irgendwie gehört beides für mich zusammen. Ich habe schon früh Mützen und Schals gestrickt – ohne Anleitung einfach drauf los.

Und wie kam es dazu, dass du Designerin geworden bist?

Ja, das ist so eine Geschichte. Ich habe damals in Spanien gelebt. Ich habe mir oft Bikinis gehäkelt. Nur so für mich. Aber eine Freundin meinte, ich solle welche machen, um sie zu verkaufen. Sie sei sich sicher, die Leute würden so etwas kaufen! Also habe ich angefangen, Bikinis, Baby-Schühchen, Ohrringe und sowas zu häkeln. Und habe die Sachen auf der Straße in Valencia angeboten! Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich 80 Euro damit gemacht habe. Was war ich stolz! Aber es war viel Arbeit fürs Geld. Ich bin mit den Bikinis auch am Strand rumgezogen, um sie den Leuten zu verkaufen. Aber mach den Menschen mal klar, dass da über sechs Stunden Arbeit drin stecken – es will ja keiner mehr als 20 Euro bezahlen. Später habe ich dann Etsy für mich entdeckt und meine Sachen auch online verkauft.

Ich habe ab und zu ziemliche Rückenprobleme, und irgendwann lag ich wochenlang nur im Bett weil ich mich nicht bewegen konnte. Ich habe überlegt, was ich der Welt bieten kann. Anleitungen schreiben!? Es gibt soo viele Strickdesignerinnen, da hätte ich ehrlicherweise nicht viel Mehrwert bieten können. Es gibt doch schon so viele großartige Techniken für Formgebung und Konstruktion.

Aber beim Häkeln – für Kleidungsstücke gab und gibt es da ja kaum was! Also habe ich beschlossen, dass ich auf dem Gebiet viel mehr ausrichten könnte als beim Stricken. Und habe meine erste Anleitung geschrieben, das Three Flowers Crop Top! Das war 2017. Ich glaube, die Anleitung war damals eine ziemliche Katastrophe. Ich habe sie Jahre später noch einmal überarbeitet. Anfangs habe ich vorwiegend Anleitungen für Bikinis geschrieben, dann ein Top, dann einen Pullover, und dann ging es irgendwie immer weiter.

Am Anfang waren viele Designs eher einfach Rechtecke, aber weil ich ja auch strickte habe ich mir gedacht, dass das was da funktioniert, das muss doch auch beim Häkeln gehen!

Du versuchst also, Stricktechniken auf das Häkeln zu übertragen?

Na, wenn man einen Pullover strickt, dann hat man doch z.B. verkürzte Reihen, um einen schönen Ausschnitt zu formen. Warum sollte man also nicht versuchen, so etwas in gehäkelte Konstruktionen mit einzubauen? Anfangs haben mich die Leute für verrückt gehalten, aber warum sollte man die Techniken, die beim Stricken zu tragbaren Stücken führen, nicht auf Häkeln übertragen? Ich habe viel gelesen und „geforscht“ und dann eben auch ausprobiert.

Ich war gewiss nicht die erste, aber auf jeden Fall eine der Ersten in der Häkelwelt, die mehr Konstruktion in die Oberteile gebracht haben. Ganz nach der Devise „Ein Quadrat kann man nicht anziehen“. Man braucht Konturen für den Ausschnitt, auch die Ärmel müssen gut konstruiert sein, wenn sie gut sitzen sollen, natürlich auch die Schultern und so.

Es ist ein Fakt, dass ein Pullover einfach besser sitzt und aussieht, wenn nicht überall überflüssige Masse rumhängt.

Aber viele Häklerinnen konnten damit gar nichts anfangen. Für viele war es einfach selbstverständlich, dass man zwei Rechtecke aufeinanderlegt, Ärmel dranmacht und fertig ist der Pullover! Es hat eine Weile gedauert…

Aktuell arbeite ich übrigens an einem Design mit Brustabnähern. Das habe ich beim Häkeln auch noch nicht gemacht. Aber warum nicht?

Ehrlich gesagt sind gehäkelte Sachen doch aber immer ein bisschen steif. Zumindest ist das meine Assoziation.

Ja, das ist leider für viele Leute das fest eingeprägte Bild. Aber so kennt man es eben. Fest gehäkelte Baumwolltopflappen und so. Aber mit der Wahl des richtigen Garns und der passenden Häkelnadel muss das wirklich nicht so sein!

Mein Mann und ich haben die Website www.plyful.com ins Leben gerufen. Dort findet man zahlreiche Designerinnen, die Anleitungen für wirklich tragbare, gehäkelte Kleidungsstücke schreiben. Häkeln verdient ein viel besseres Image, als es hat!

Viele deiner Designs sind nicht nur technisch ausgefeilt, sondern auch herrlich farbenfroh.

Ja, ich mag es wirklich sehr gern bunt. Schon als Kind habe ich es geliebt, mich bunt anzuziehen. Das ist wohl mein mexikanischer Geschmack! In meinem Buch „Colorful Crochet Knitwear“ habe ich viel Farbe verwendet – und auch viel zur Verwendung von Farben erklärt. Warum sollten nur Stricker:innen Colourwork stricken können? Das geht auch mit der Häkelnadel. 

Aber es kann noch so hübsch bunt sein – wenn es nicht sitzt, macht es keinen Sinn. Deshalb ist mir die Konstruktion im Laufe der Zeit immer wichtiger geworden.

Hast Du eigentlich ein Lieblingsdesign? Eine Mutter liebt ja alle ihre Kinder…

Ja, ich glaube, das ist Confetti, ein Pullover mit Farbverlauf. Den habe ich während der Corona-Pandemie geschrieben und er wurde großartig aufgenommen: Weil so viele Leute im Lockdown soviel Zeit hatten und etwas Neues lernen wollten, stand Häkeln ziemlich hoch im Kurs! Und dann noch mein Mosaic Jumper, der Colourwork über und über hat. Für das Design habe ich auch zum ersten Mal mit verkürzten Reihen für den Halsausschnitt bei einer Rundpasse gearbeitet. 

Lass uns auch über Garne sprechen – was sind da deine Favoriten?

Ich bin ganz klar der Woll-Typ. Ich mag total gern, wie Superwash-Garne sich anfassen – ich verwende aber am liebsten eher rustikale Wolle. Die darf aber gern schön weich sein.

Und gibt es einen Favoriten aus dem Pascuali-Sortiment?

Ja! Vor ein paar Jahren hat Paul mir Suave gezeigt. Ich war skeptisch, als ich das Knäuel angesehen habe. Dann hat er mir einen Pullover aus Suave in die Hand gedrückt. Wow, ich war schwer beeindruckt, wie toll dieses Baumwollgarn verstrickt aussieht. Ganz anders als klassische Baumwolle. Ich habe dann das Vesuvius Tee aus Suave entworfen. Das trage ich selber noch total oft! Es war sogar schon im Trockner, ein tolles Garn.

 

Machst du eigentlich alles allein, oder hast du ein Team im Hintergrund?

Nein, ein Team habe ich nicht. Mein Mann und ich betreiben gemeinsam die Plyful-Website, da ist er mein IT-Mensch und kümmert sich um den Kunden-Service. Er macht auch meine Fotos. Was das Kreative, den Content, meine Designs angeht habe ich nur meine Tech Editorin und ein paar Testhäkler.

Darf ich zum Schluss noch ein bisschen persönlich werden? Was machst du, wenn du gerade nicht häkelst?

Ich lese unglaublich gern. Ich habe eine lange Zeit nicht gelesen, aber irgendwann meinen Kindle wieder rausgeholt. Ich glaube, ich habe 50 Bücher in 5 Monaten gelesen!

Als Familie sind wir gern draußen. Wir wandern viel. Wenn ich allein bin, lese oder häkele ich gern drinnen. Wenn man mich „zwingt“ rauszugehen, bin ich aber draußen auch total happy. Frische Luft tut einfach gut!

Liebe Sandra, vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns genommen hast! Bestimmt werde nicht nur ich jetzt ganz anders übers Häkeln denken – und bestimmt demnächst mal die Häkelnadeln auspacken!

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